Eigentlich hätte ich auch gern getitelt: „Mein Abenteuer in Zanskar” oder „Jamyang Ling feiert” aber in diesem Jahr entwickelte sich doch vieles schwieriger, als ich gedacht hatte.
Zum
ersten Mal seit vielen Jahren gab es kein „Zanskar-Special-Trek” und so
musste ich meinen lang geplanten Besuch der Schule ohne unterstützende
Gruppe organisieren und durchführen.
Das Wetter in Leh war keineswegs
das blitzsaubere und klare Sommerwetter wie gewohnt, sondern trüb,
verhangen und nieselig (wie in Deutschland!).
Es wurde auch in der
zweiten Woche in Reru nicht besser: Teils Sturm, teils Regen oder sonst
grau. Die Jeep-Pisten waren durch Wasser manchmal unpassierbar und in
meinem Gästezimmer in der Schule lief der braune Matsch (ehedem
Sandstein) über meinem Kopf aus der Wand, - zunächst dachte ich an eine
seltene Erkrankung.
Zum Ende der zweiten Woche kam es dann nachts zu
den verheerenden Überflutungen des Indus in Leh und Ladakh (und später
in Pakistan). Über mein Kurzwellenradio wusste ich darüber gut Bescheid,
- Schüler und Lehrer konnten und wollten meinen Berichten kaum
glauben, denn Reru und die Schule liegen in einem „Hochtal” und der
Zanskar rauscht hier zum Glück in einem tief gelegenen Talbruch vorbei,
sodass die Überflutungen sie nicht selbst erreichte.
In Folge des
Unwetters und der Überflutungen waren allerdings auch nach Zanskar alle
Verbindungen (Straßen, Telefonnetze...) abgerissen und erst nach und
nach kamen über Funktelefone Nachrichten durch. Abgeschnitten zu sein
war für Zanskaris bis vor wenigen Jahren immer der Normalfall. - Aber
jeder in Reru hat Brüder, Eltern, und Freunde in Leh und Ladakh und so
waren Schock und Betroffenheit groß.
Nur bei schlimmstem Regen fiel einmal die Morgengymnastik aus. Ansonsten versuchten Lehrer-/innen und Schüler-/innen in Reru das Beste aus der Situation zu machen, nämlich relativ normalen Unterricht und relativ normale Vorbereitung für Schulfest und Sommerferien.
Für meinen Unterricht (in allen 10 Klassen) hatte ich vier Themen vorbereitet: „Kindheit und Familie in Deutschland”, „Jugendliche in Deutschland” sowie „Schule und Beruf in Deutschland” und als letztes: „Wie geht es mir an meiner Schule in Reru/Zanskar?”Ich hatte für die ganze Thematik und die mitgebrachten Filme, Bilder und Musik sehr interessierte, sehr aufmerksame und sehr hilfsbereite Schülerinnen und Schüler, die mich immer wieder mit ihrer musikalischen Begabung und mit ihrem Gefühl für Sprachen erstaunten. So singt jetzt die ganze Schülerschaft Bruder Jakob nicht nur auf Englisch, Französisch und Deutsch, sondern hat es sogar auf Ladakh umgedichtet.
Bei der Thematisierung der eigenen Schule hatte ich zunächst die Sorge, ob man sich wohl trauen würde, in Anwesenheit des eigenen Lehrers oder des Headmaster und Gastes aus Germany alle Fragen ernsthaft und ehrlich zu beantworten oder sie eventuell nur etwas angepasst abzunicken. Es ist aber in den verschiedenen Klassen und Altersgruppen ein spontanes und differenziertes Bild entstanden: Trotz der großen Begeisterung für die Schule und ihre Bedeutung für Reru und Zanskar gibt es eine Menge an konkreten Vorschlägen oder Kritik, was einzelne Unterrichtsfächer, manche Lehrermethoden, das Essen oder kalte Fußböden angeht. Nicht ganz mit der Wahrheit hielten es die Kleinen bei der Frage nach Heimweh: „Nie! keine Probleme!” und die Großen mit der Frage nach Krankheiten: „Nie krank, nie verletzt!” Weil ich die Umfrage als Unterrichtsgespräch gestaltet hatte, gab es letztlich zu allen Aspekten interessante und vernünftige Ergebnisse, mit denen wir uns im Gespräch zu Hause in Deutschland bestimmt befassen sollten.
Die Lehrer/innen (z.Z. leider nur eine Lehrerin!) haben jeden Tag um 11 Uhr ein gemeinsames tea-break mit pädagogischen und planerischen Gesprächen (sehr hilfreiche Einrichtung!!) Bei diesem tea-break habe ich auch an die Lehrer/innen die Frage gerichtet: „Wie geht es mir als Lehrer/in in der Jamyang Ling Schule in Reru?”.
Die Lehrer/innen bestanden allerdings nach dem Gespräch darauf, selbst ihre wichtigsten Wünsche aufzuschreiben. Diese Punkte liegen inzwischen auch vor und werden uns ebenso zu Hause beschäftigen: Es geht dabei um Vorschläge für den Schutz der Gärten und Grünanlagen, um das Lehrergehalt, um Anschluss ans Internet und um bessere Versorgung der unteren Klassen („Lower Kindergarten” und „Upper Kindergarten”).
Je näher das Schulfest rückt, umso mehr Aufregung bei Lehrern/innen und Schülern/innen und das natürlich umso mehr, wenn der Headmaster nicht aus der Druckerei in Delhi mit der Schulbroschüre zurückkommen kann oder unklar bleibt, welche chief-guests überhaupt kommen oder ebenfalls durch das Flutunglück stecken geblieben sind. Manchmal geht es bei den Proben auch sehr streng zu, wenn der geplante Aufmarsch oder die geplanten Performances noch nicht perfekt funktionieren. Letztlich versagte auf dem Fest aber nur die Schulflagge, die sich trotz aller Bemühungen nicht entrollen wollte. Weil ich beim Schulfest der einzige Deutsche Gast war, erhielt ich zur Begrüßung das seidene Katta und musste eine Ansprache halten, die ich hier gekürzt wiedergebe:
Lieber Lama Tsering von der Mune Gompa!
Lieber Mr. Stenzin Gyalek als Chairman!
Lieber Karma Tsewang als stellvertretender Schulleiter!
Lieber Mr. Eli von der Bezirksschulbehörde!
Liebe Lehrer, Eltern und Schüler!
Ich bin Norbert Vehreschild aus Deutschland. Ich bin auch Mitglied der Shambala-Organisation in Deutschland (...) Ich soll viele Grüße und die besten Wünsche, besonders von „Mr. Bernd” aus Deutschland ausrichten, der leider in diesem Jahr verhindert war. (...) Für meine Unterrichtsbesuche in allen Klassen habe ich verschiedene Themen vorbereitet, bei denen Kindheit, Jugend und Schule in Deutschland und in Zanskar-Ladakh verglichen werden. Ich habe die Studierenden hier als sehr aufmerksam, hilfsbereit und talentiert für Sprachen und Musik empfunden (...)
Herzlichen Dank für die Hilfe an die Schulleitung, um alle Abläufe zu organisieren sowie an Lehrer, Personal und Schüler, die mich tagtäglich mit Wecken, Begrüßung, Tee, oder Einladungen aufgemuntert haben (...)
Für die Schule und den Unterricht habe ich einige Geschenke mitgebracht, besonders einen portablen DVD-Rekorder, Musik, Filme und Bücher sowie einen Fußball, was die meisten ja schon kennen gelernt und ausprobiert haben und ich hoffe, sie können in nächster Zeit oft zum Einsatz kommen (...)
Die
Regenwochen und die Flut in Ladakh waren eine wirkliche
Naturkatastrophe. Ich glaube, wir sind alle sehr bestürzt darüber und
nehmen Anteil mit den betroffenen Menschen in Ladakh. Wahrscheinlich
wird es eine lange Zeit in Anspruch nehmen, bis sich das Leben und die
Verkehrswege normalisieren können. Ich selbst habe jetzt noch als
Problem, dass ich nicht weiß, wie ich nach Hause komme.
Inzwischen
habe ich es trotz allem nach Hause geschafft und bei allem, was so
passiert ist, wahrscheinlich besonders viele Erfahrungen gemacht und
sogar nach Deutschland in Form von Bildern, Unterrichts-Berichten und
Auswertung der Umfragen „mitgebracht” und bin gespannt darauf, wie wir
es verwerten können.
Norbert Vehreschild