Als wir durch die Ortschaft Sani fahren, warten wir gespannt auf die letzten Kurven hinter dem Ortsausgang: mit einem Blick öffnet sich eine weite Ebene, an deren Höhenzügen linker Hand das Kloster Karsha auftaucht und im Hintergrund die auf der anderen Seite des Zanskar-Flusses gelegene, teilweise noch schneebedeckte, Bergkette. Wir haben einen atemberaubenden Anblick bei untergehender Sonne am Spätnachmittag über die flache Landschaft mit dem Ort Padum am äußeren Ende.
Wie oft in den letzten Jahren bin ich diese Strecke gefahren - an dem sehr schlechten Zustand der Straße hat sich kaum Wesentliches geändert in all den Jahren. Immer wieder wird gebaut, ausgebessert, die Steilhänge abgesichert und oft müssen wir die Autofenster schließen, damit der dichte Staub nicht eindringen kann.
Und dann stockt uns allen der Atem: als wir um die letzte Kurve fahren, stehen Schüler, Lehrer, Köche, die Angestellten der Schule in Doppelreihe zu unserer Begrüßung bereit. Die älteren Schüler stehen mit Kataks, die jüngeren mit kleinen selbstgepflückten Blumensträußchen in der Hand entlang des markierten Weges. So viele Hände können gar nicht geschüttelt werden, die Last der unzähligen Kataks drückt, die vielen, vielen Blumensträuße, die uns entgegengehalten werden, zu viel zum Halten: wie bin ich froh, diesen überaus herzlichen, bewegenden Empfang, der uns allen gilt, mit unserer Reisegruppe teilen zu dürfen.
Gespannt sind wir auf einige neue Lehrer und besonders auf die Schulleiterin Mrs. Tenzin Choney. Sie ist als Tochter tibetischer Flüchtlinge in Leh aufgewachsen. Und natürlich auf die älteren Schüler und Studenten aus Jammu. Sonam Dolma, Schülerin der allerersten Klasse 1994, hatte uns auf der Hinfahrt in Sankoo, kurz hinter Kargil, zum Frühstück eingeladen. Sie steht exemplarisch für die Reihe von Schülerinnen und Schülern, die ihren Schulabschluss in Jammu mit Erfolg gemacht haben und eine sehr gute Anstellung im indischen Gesundheitssystem bekommen haben.
Immer wieder kommen Erinnerungen, wie alles vor 25 Jahren begann. Eigentlich sind es 26 Jahre, denn im Sommer 1993 lagerten wir mit einer Trekkinggruppe am gleichen Ort oben am idyllisch gelegenen See.
Unendlich viel ist in diesen Jahren passiert: die Deckenkonstruktion des Hotels musste nach Regenfällen durch eine Betondecke ersetzt werden, einheimische Lehrer, darunter auch Ex-Schüler, nahmen die Stelle der tibetischen Lehrer aus Südindien ein. Unvergessen auch die Situationen, wenn strukturiertes westliches Denken auf östlich/ indisches Denken stieß. Es war ein immerwährendes Ringen und Bemühen des gegenseitigen Verstehens; sehr viel zum Gelingen trug bei, dass Shambhala e.V. immer die tiefen religiösen und spirituellen Überzeugungen der Zanskaris wertschätzte, sei es durch den Bau eines Stupa, sei es durch die insgesamt fünf Avalokiteshvara und Yamantaka Mandalas, die in der Schule entstanden.