RARU im Sommer 2023

von Karin Klinger

Es gab eine Reise nach Zanskar… es gab eine Reise nach Zanskar und am 5. Tag endlich erreichten wir erschöpft und glücklich das ersehnte Ziel: RARU! 

Es hatte verpasste Flieger gegeben, überschwemmte, zerstörte Straßen und Häuser in Kullu und Manali, heftigste Wolkenbrüche hatten spontan eine Umplanung der Reise notwendig gemacht. Trotz dieser Hindernisse verlief alles zum Besten… am 4. Tag in Padum, dem Hauptort Zanskars, wurden wir direkt nach Eintreffen, im schönen Naturhostel eines Exlehrers der Schule, von einer Empfangsdelegation überraschend empfangen. Der Kontakt war noch vorsichtig, scheu und etwas befremdlich… Am nächsten Morgen dann der offizielle bunte Empfang mit Trommeln und Zanskari Flöten mit vielen schönen, lachenden Menschen im großen Garten des Padma Ling Hostels. Unter konstanter Trommelbegleitung ging dann die Fahrt auf dem neuen „Highway“ nach Raru. Diese Strecke kann mittlerweile in sage und schreibe 30 Minuten Autofahrt bewältigt werden (früher brauchte es 1 Trekkingtag zu Fuß!). Bei uns brauchte es seine Zeit… es gab viele kleine Begrüßungshalte zwischendurch mit Julays, Essen und Trinken, Blumen, Kataks ohne Ende!                                   

Ebenso das lange Empfangsspalier in Raru …Lachen und Tränen… wir waren überwältigt! Raru, so weit entfernt entfernt und doch wieder direkt vertraut.  

Wir bezogen ein bezauberndes, liebevoll hergerichtetes Camp oberhalb des Dorfes und des Schulgeländes, gelegen an einem kleinen See zur Feldbewässerung, an einem plätschernden Bach, am Rande eines Weidenwäldchens. In der Nähe blühten gerade Wildrosen in steinigem Gelände. Wunderbar wurden wir von Loden bekocht. Wir waren begeistert, berührt, dankbar hier zu sein.                            

Der 1. Tag begann direkt mit vollem Programm. Von Stanzin Lobzang, dem Headmaster, abgeholt, pilgerten wir nach unten zur Schule, besuchten dort alle Klassen, begrüßten Lehrer, Schüler, Hostel. Angestellte von Jamyang Ling. Alles war sehr vertraut und wir sahen mit Freude, dass das Schulprojekt läuft… auch, wenn wir 4 Jahre nicht anwesend waren!!!                                                          

Alles zeugte von einer guten, großer Motivation, trotz oftmals schwierigster Umstände, bzgl. Wetter, Höhe (3800m), fehlendem Komfort und Privatsphäre. Selbst während der langen Coronazeit gab es intensiven, unterstützenden Kontakt von Lehrern und Schülern. Lehrer besuchten die Familien in den erreichbaren Dörfern, versorgten die Schüler mit Unterrichtsmaterialien. Eine Lehrerin berichtete, dass sie diese Besuche so sehr geschätzt hatte, brachte es doch so viel Nähe zu den Eltern und Kindern in deren vertrautem Umfeld.

Das Programm in den 10 Tagen unseres Daseins war vielfältig. Es entwickelte sich ein täglicher Rhythmus, sehr aktiv, dennoch entspannt. Jeder Tag brachte viele Treffen, Schulbesuche, Gespräche und Kontakte mit Lehrer-innen, Schülern, Eltern aus dem Dorf. Nachmittags gab es diverse Privatbesuche von Schul- und Dorfleuten, Exschülern, die von weiter entfernten Dörfern gewandert kamen. Es gab viele Einladungen, Feste (z.B. ein großes Klosterfest in Padum, zu Ehren des Kundeling Rinpoche, der schon 2019 die Schule besucht hatte,  Frauen (jeweilige women association) Feste in den Ortschaften Mune und Raru.

Alles brachte uns näher zusammen. Die Kommunikation wurde vertrauter, offener, sodass auch Schwierigkeiten und Probleme ausgetauscht werden konnten, z.B. die Klimaveränderung und deren Auswirkung auf die Häuser und Schulgebäude, in traditioneller Lehmbauweise errichtet. Das Hostel der Kinder z.B. war durch die massiven Regenfälle zerstört worden und mit einem bewundernswerten Einsatz vieler Beteiligter und 11 Nepali Wanderarbeitern wieder im Aufbau begriffen. Organisation, Logistik, anstrengender körperlicher Arbeitseinsatz waren außergewöhnlich beeindruckend.                                                                                                     

Wir sahen auch, wie dynamisch und schnell die Prozesse der Veränderung, des Wandels hier  stattfinden. Ladakh-Zanskar unterliegt nicht mehr dem Bundesstaat Kashmir, sondern ist seit 2019 selbstständig geworden, d.h. es unterliegt nun direkt der Regierung in Delhi. Von dort wird nun viel Geld in die bisher vernachlässigte Region gepumpt, hauptsächlich für einen enorm sich ausbreitenden Straßenbau. Überall durchziehen nun Straßen die Landschaft. 2019, noch gewandert, hoch über den Pensi-La, ein Teil des ehemaligen großen Zanskartreks, ist nun alles mit dem Auto erreichbar. Die Trekkingrouten sind weitgehend zerstört, es kommen kaum noch Wanderer nach Raru und zur Schule. Das Lugnak-Tal ist von Padum über den Shingo-La, der Hochgebirgspass, der Ladakh mit dem Bundesstaat Himachal Pradesh verbindet, bis Manali befahrbar. Dies ist nur ein Beispiel des sich immens schnell erweiternde Straßennetzes. Im Hauptort Padum ist die Veränderung besonders radikal. Dort soll die bisherige Dorfstraße durch eine 4-spurige Schnellstraße ersetzt werden. Alle Häuser, Geschäfte, Wäldchen, werden zu beiden Seiten abgerissen, wir sahen schon die Anfänge. Die Leute werden anscheinend gut bezahlt dafür.

Wir haben viel über diese rapide Veränderung nachgedacht und geredet. Es gibt sicherlich etliche positive Seiten der Erneuerung, viele Vorteile und Erleichterungen für die Bevölkerung. Schnelle Erreichbarkeit, mehr Sicherheit in Krankheitsfällen usw…andererseits fragten wir uns, was dies mit den Menschen macht, welche Auswirkungen diesen Entwicklung auf sie hat. Zweifelsfrei erhöhen sich durch dieses Tempo, diese rasant schnelle Veränderungen Druck und Stress auf den Einzelnen.  Viele streben nun danach, Grundstücke entlang der begehrten Straße zu erwerben, um dort  Häuser, Lokale, Geschäfte zu errichten. Mittlerweile steigt auch die Selbstmordrate in Ladakh und Zanskar in alarmierender Weise… Das alles ist zu bedenken.    

Zu wünschen ist, dass die Menschen dort die Erleichterungen des Lebens genießen, doch wach und achtsam gegenüber den so fortschrittlichen Dingen bleiben und ihre so besondere Herzensqualität wahren. 

Mit diesen so reichen Eindrücken und Erlebnissen verabschiedeten wir uns, frühmorgens an der Straße oberhalb der Schule. Alle waren sie da. Wir umarmten, lachten, weinten, waren still und hielten Augenkontakt so lang es ging… Das richtig Gute ist, dass die Schule auch ohne uns läuft!!! Alle sind selbstständig und verantwortlich und kompetent geworden. Jullay…bis ????            

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